Duftmarken der Macht

Über weite Strecken ihrer Geschichte hatten die Braunschweiger kein Bedürfnis nach einem Schloss. Braunschweig hatte in der frühen Neuzeit den Status einer reichsfreien Hansestadt; die Braunschweiger verteidigten ihre Unabhängigkeit gegen die Herzöge, die von Wolfenbüttel aus das Herzogtum Braunschweig regierten mussten. 1671 gelang Herzog Anton Ulrich die Unterwerfung der Stadt, aber erst 1753 konnte sein Nachfahre Karl I in das neuerbaute Braunschweiger Schloss einziehen.

Das alles ist über 250 Jahre her, aber bis heute haben die Braunschweiger ein gespaltenes Verhältnis zum Schloss. 1830 haben sie es abgebrannt, um anschließend ein neues aufzubauen (1840). In der Novemberrevolution 1918 wurde der letzte regierende Herzog aus dem Schloss verjagt. Ab 1931 bildete es eine gespenstische Kulisse für Nazi-Aufmärsche und 1935 zog die „SS-Junkerschule“ in die herzöglichen Gemäuer ein. Im Herbst 1944 wurde das Schloss zerbombt und 1960 schließlich riss man die Ruine vollständig ab. Das war weiß Gott keine kulturpolitische Heldentat, aber ist nun einmal geschehen.

Damit hätte es sein Bewenden haben können, wären da nicht die „Schlossfreunde“, die tatsächlichen bzw. selbsternannten Nachfahren der „Heimatfreunde“ von 1960, die politisch-ideologische mit wirtschaftlichen und institutionellen Interessen verbinden. Als sie vor Jahren begannen, die „Rekonstruktion des Schlosses“ zu fordern, haben viele Braunschweiger noch etwas spöttisch gelächelt; nun ist ihnen der Spott vergangen.

2004 hat der Rat der Stadt mit einer Stimme Mehrheit – wie 1960 beim Abriss – die „Rekonstruktion“ beschlossen.

Das hätte noch weiter keine Folgen gezeitigt, hätten diejenigen, die die neue Braunschweig-Identität aus historischen Versatzstücken zusammenflicken, nicht Verbündete aus dem „Reich der Ottonen“ erhalten. Gewiss, der Versandhandelsgründer Werner Otto und seine Söhne zählen zu den deutschen „Musterunternehmern“, die Steuern zahlen und Naturschutz- und Kunst fördern. Alexander Otto, dem mehrheitlich die ECE Management GmbH & Co KG zugefallen ist, betätigt sich auch als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung „Lebendige Stadt“. 2001 hatten sich Otto und seine Stiftung der Begrünung innerstädtischen Raums gewidmet und 5000 Bäume gepflanzt.

Die Stiftung pflanzt, ECE holzt ab... Gegen alle Proteste aus der Bevölkerung (ein Bürgerbegehren war trotz über 31500 Unterschriften im Jahre 2003 nicht zugelassen worden) wurde der Park dem ECE-Center geopfert. ECE und „Schlossfreunde“ scheuten sich auch nicht, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen:

Braunschweig: ECE baut Schloss wieder auf
Mit dem symbolischen ersten Spatenstich durch Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann haben am 13. Juli 2005 die Bauarbeiten für die Schloss-Arkaden begonnen. An historischer Stätte rekonstruieren der Investor Credit Suisse Asset Management und die ECE das ehemalige Schloss - verbunden mit einer neuen Einkaufsgalerie.“
(Fair ECE News, 10.10.2005)

Für solche wahrheitswidrigen Behauptungen hatte sich die Braunschweiger Zeitung schon über ein halbes Jahr zuvor eine Rüge des Presserates eingehandelt, der feststellte, sie habe „immer wieder von einer Rekonstruktion und einer Kopie des Schlosses gesprochen. Dies ist ... falsch und für die Leser irreführend, weil die geplante Wiederherstellung eines eher zweidimensionalen Bauobjekts tatsachenwidrig als dreidimensionaler historischer Baukörper dargestellt wird.“

Was tatsächlich entsteht – so kommentierte die überregionale Presse schon die Planungen – ist „Kulissenarchitektur“ (Die Welt), „ein dreidimensionales Foto“ (Berliner Zeitung), „ein Doppelalbtraum“ und „ein gigantisches Glasgeschwür“ (Die Zeit).

Große und kleine Hunde markieren gern Fassaden und Podeste. Große und kleine Fürsten setzen sich gerne Denkmäler. Hunde hinterlassen Duftmarken – Fürsten Stein oder Beton.